Alexander Lernet-Holenia

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Programm der 3. Lernet-Holenia Tagung

in Dortmund 24.-26.Oktober

Alexander Lernet-Holenia und die österreichische Literatur der Nachkriegszeit

Freitag, 24.10.2003
Kaffee und Kuchen ab 15:30

Grußworte der Veranstalter 16.30 Uhr
Dr. Thomas Eicher (Dortmund),
Prof. Dr. Jean Jacques Pollet (Arras),
Mag. Dreihann-Holenia (Kleinrötz),
Dr. Fritz Hackert (Tübingen)

Prof. Dr. Roman Rocek (Wien) 17.30 Uhr
Lernet, die Stunde Null und die Wiederkehr

Die Kulturpolitik der österreichischen Regierung war in der Nachkriegszeit im Wesentlichen restaurativ, das heißt bestrebt, an jene Traditionen anzuknüpfen, die von den Nazis 1938 gewaltsam abgeschnitten worden waren. Zugleich machte sie es den Emigranten schwer, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Es war eine Zeit, die Lernet-Holenia gesprächsweise wiederholt als die „Epoche der Heraufkunft der Hausmeister“ oder der „Griff des Hausmeisters nach der Weltmacht“ bezeichnet hat. Beunruhigt von der Vision des Gleichen, beginnt Lernet sich mit Fragen des Geschichtsablaufes zu beschäftigen. Er erkennt, dass sich im Grunde nur die Rahmenbedingungen geändert, im übrigen aber alle Abläufe sich verselbständigt haben. So wird denn die Beschäftigung mit anonymen Kräften, die das Leben der Welt vorantreiben, zu einem zentralen Interessensgebiet.

Dr. Leopold Decloedt (Wien) 18.30 Uhr
Die Spinne im Netz. Lernet-Holenia und das kulturpolitische Umfeld der Jahre 1945 bis 1960

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollen die österreichischen Politiker um jeden Preis eine kollektive Identitätskrise verhindern. Die politischen Kämpfe der Zwischenkriegszeit, die Verbrechen der Nationalsozialisten und das Schicksal der Juden sollen so schnell wie möglich vergessen werden. Die Regierenden werden dabei nicht nur von den Alliierten, sondern auch von einem restaurativen Literaturbetrieb unterstützt. In den ersten Nachkriegsjahren erfreuen sich neben Erfolgsautoren der Vorkriegszeit und Unterhaltungsschriftstellern auch ‚Heimkehrer’, die sich in das kulturelle Leben der Wiederaufbauzeit einfügen, Autoren, die ein bewusstes Österreichertum und eine Verbundenheit mit der literarischen Tradition vertreten, und Schriftsteller mit katholischen Wertvorstellungen eines großen Interesses. Im Gegensatz dazu werden linke Autoren, formal schwierige Schriftsteller und die literarische Avantgarde fast zur Gänze ignoriert. Im Mittelpunkt des Referates steht neben der Frage, wie Lernet-Holenia in dieser Zeit von der literarischen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, auch die Frage, inwieweit er die kulturpolitischen Entwicklungen der Jahre 1945 bis 1960 mitgetragen hat.

Samstag, 25.10.2003

Dr. Daniela Strigl (Wien) 9.00 Uhr
„Es gibt Taten, die so ungeheuer sind, dass keine Sühne hilft.“ Über das Zeitgemäße an Lernets „Germanien“

Lernets Klagelied „Germanien“ (1946) spricht Deutschland an und die Deutschen – vom Standpunkt eines Außenstehenden. Die Abrechnung mit deutschem Herrenmenschen und Knechtgeist erfolgt vor dem Hintergrund der historischen Reichsidee (an der Lernet in „An Österreich“ auch das Versagen seiner Heimat misst). „Germanien“ pocht auf beides: auf die Einzigartigkeit der Schuld und auf deren geschichtliche Interpretation. Man hat die Deutlichkeit der Versworte gewürdigt, zugleich aber den klassischen Klang als Affront empfunden, als unzeitgemäße Ästhetisierung des Schreckens. Der hohe Ton der Klage und Anklage war jedoch nach dem Krieg noch nicht obsolet: Lernet ist nur eine Stimme im Chor der lyrisch Resümierenden, der in Österreich vom Nazi Josef Weinheber über den „inneren Emigranten“ Wilhelm Szabo bis zum vertriebenen Ernst Waldinger reicht.

Prof. Dr. Jean Jacques Pollet (Arras) 10.00 Uhr
Die Phantastik der Annexion: Alexander Lernet-Holenias Lektüre des Anschlusses in „Der Graf von Saint-Germain“

Bekanntlich liefert die Strategie der Mythisierung und Fatalisierung der Geschichte in all ihren möglichen Variationen der phantastischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Romanform, die für sich beansprucht, der Darstellung einer historischen Katastrophe unvorstellbaren, rätselhaften Ausmaßes – Weltkrieg und/oder Revolution – gerecht zu werden. Über die zahlreichen intertextuellen Relationen hinaus, die den „Grafen von Saint-Germain“ mit der Tradition der Phantastik thematisch verbinden, liegt dem Roman mit der Verifizierung einer Prophezeiung auch ein typisches narratives Modell der Fatalisierung von Geschichte zugrunde. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die erzähltechnische Originalität und ideologische Bedeutung der Applikation eines solchen Modells auf das Ereignis von 1938 zu skizzieren. Aus der Analyse der komplexen Erzählstruktur ergibt sich, dass der Roman dieses Modell durch einen verwirrenden Wechsel zwischen Zeit- und Handlungsebenen gleichzeitig realisiert und ironisiert, um – nach Beendigung des Krieges – das Ereignis zu hinterfragen und die Frage nach der Verwantwortung des Einzelnen zu stellen.

Prof. Dr. Rüdiger Görner (London) 11.00 Uhr
„Die Bruchflächen funkeln lassen...“ Über Gottfried Benns „Erwiderung an Alexander Lernet-Holenia“ (1952)

Auch im Bereich der poetologischen Diskussionen, die nach 1947 im deutschsprachigen Raum an Häufigkeit und Intensität deutlich gewannen, stellte Lernet-Holenia eine Provokation dar. Man kann sie als kulturkonservativ bezeichnen oder als quersinnig; Gottfried Benn jedenfalls entwickelte in seiner Auseinandersetzung mit Lernet-Holenia eine sein eigenes Spätwerk mit begründende Poetologie. Ihre Grundzüge sollen hier erörtert und mit Lernets eigenem lyrischen Selbstverständnis kontrastiert werden.

Dr. Hélène Barrière (Arras) 14.00 Uhr
Ein Ritter von der traurigen Gestalt? Zur Aufnahme des „Grafen Luna“ zehn Jahre nach Kriegsende

1946 erregt das Gedicht „Germanien“, zugleich Klage um eine geschändete, endgültig verlorene Welt und Anklage gegen diejenigen, die sich von jeder Schuld freisprechen möchten, großes Aufsehen. Neun Jahre später wird der Roman „Der Graf Luna“, so der Verleger Paul Zsolnay, „im gesamten deutschen Sprachraum fast einmütig von Presse und Publikum hervorragend aufgenommen“. Das Buch scheint aber nicht versöhnlicher zu sein, handelt es doch wieder von Schuld, von der Verstrickung eines bloß Zusehenden. Es gilt, der Diskrepanz zwischen einem Thema, das 1955 an einer immer noch offenen Wunde rührt, und der angeblich einstimmigen Aufnahme des Romans auf den Grund zu gehen. Ist die oft vorkommende Verharmlosung Jessierskys als Narr, der gegen Chimären ankämpft, nur kontextbedingt oder auch auf Besonderheiten des Erzählkonstruktes in einem Werk zurückzuführen, das in Lernets dichterischer und persönlicher Entwicklung einen bestimmten Stellenwert besitzt?

Dr. Manfred Müller (Wien) 15.00 Uhr
„Almsäue, Baumriesen und Krüppelwacholder“ Über die Widerspenstigkeiten der Natur und den Charakter der Bevölkerung. Zum Leben auf dem Land in Romanen Alexander Lernet-Holenias

Alexander Lernet-Holenia hat in seinen unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienenen drei Romanen „Der Graf von Saint-Germain“, „Die Inseln unter dem Winde“ und „Der Graf Luna“ der Beschreibung der Natur breiten Raum gewidmet. Diese erlangt darin durch die Reflexion menschlicher Charakterzüge ein gespenstisches und bisweilen furchteinflößendes Profil. Als mystisches Rückzugsgebiet, aber auch als Ort, an dem die negativen Folgen menschlicher Handlungen exemplarisch erfahren werden können, wird „Natur“ zu einem zentralen Thema. Ein Vergleich mit Autoren wie Thomas Bernhard, Hans Lebert oder George Saiko, die die Landschaft auf ähnliche Weise ins Geschehen eingebunden haben, kann durch das Herausarbeiten der Unterschiede wie der Gemeinsamkeiten dazu beitragen, Alexander Lernet-Holenias Position innerhalb der österreichischen Nachkriegsliteratur abzugrenzen.

Dr. Bernd Hamacher (Hamburg) 17.00 Uhr
Alexander Lernet-Holenia und das Judentum

Alexander Lernet-Holenia war bekanntlich der Auffassung, man brauche nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich nicht voraus, sondern nur zurückzuschauen und könne dort weitermachen, wo einen die „Träume eines Irren“ unterbrochen hätten. Wie aber sollte angesichts der Judenvernichtung eine solche Kontinuität möglich sein? Oder spielte das Judentum schon vor dem Nationalsozialismus für Lernet-Holenia keine Rolle, so dass die Kontinuität dadurch nicht gestört wurde? Eine Untersuchung dieses vermeintlich heiklen Punkts und blinden Flecks der Lernet-Rezeption kann exemplarisch bei „Pilatus“ (1967) ansetzen, dessen Lektüre erstaunliche Befunde liefert. So dient das Judentum in diesem Buch nicht nur als Medium umfassender Selbstvergewisserung – auch Juden und Österreicher insgesamt werden im Kontext einer charakteristischen diskursiven Tradition miteinander in Beziehung gesetzt.

Mag. Thomas Hübel (Berlin) 18.00 Uhr
Alexander Lernet-Holenia und die Schuldfrage

Österreich definierte sich nach 1945 als Opfer des Nationalsozialismus, und so begann sich ein Opferdiskurs auszubreiten, der kaum mehr Täter kannte. Etliche von Lernet-Holenias Texten richten sich gegen diese Form der Schuldabwehr, etwa wenn er die Anschlussbegeisterung der Wiener Bevölkerung schildert, die problematischen Aspekte des politischen Neuanfangs nach 1945 thematisiert und in seinem Gedicht „Germanien“ zur Schuldfrage Stellung nimmt. Der Vortrag platziert Lernet-Holenias Texte vor dem zeitgenössischen politischen Hintergrund, analysiert aber auch die Entwicklung des Themas Schuld im Gesamtwerk des Autors und die Frage, wie diese bei ihm näher zu bestimmen sei: als Schuld gegenüber den Opfern oder als Verfehlung gegenüber einer Tradition.

Sonntag, 26.10.2003

Dr. Arnold Klaffenböck (Salzburg): 9.00 Uhr
Der Österreich-Apologet Alexander Lernet-Holenia

Lernet-Holenia benutzt in seinen Werken Bilder und Vorstellungen von ‚Österreich‘ bzw. des ‚Österreichischen‘, die im Zusammenhang mit dem kulturpolitischen Wiederaufbau und der Errichtung der Zweiten Republik eine Rolle spielten. Worin könnte sein Beitrag zur geistigen Konstituierung Österreichs nach 1945 in der Wiederaufnahme bestimmter Traditionen aus dem Erbe der habsburgischen Monarchie und der Weiterführung von Ideen und Sichtweisen bestanden haben? Torbergs „FORVM“ z.B. zeigt recht gut, wie später Texte dieses Schriftstellers selektiv vorgestellt wurden mit dem Ziel, sie in die offizielle Lesart des kulturkonservativen Bewusstseins zu integrieren. Dieser Instrumentalisierung soll exemplarisch anhand von Zeitschriften wie „Österreich in Geschichte und Literatur“ und „Wort in der Zeit“ nachgegangen werden.

Dr. Gertraud Steiner Daviau (Wien) 10.00 Uhr
Alexander Lernet-Holenias Filme der Nachkriegszeit. Stellungnahmen eines Unangepassten

Alexander Lernet-Holenia war nicht nur eine eminente literarische Figur der Nachkriegszeit, sondern auch ein wichtiger Autor für den Film, dessen Stoffe sich immer gegen den Strom der üblichen Heimatfilme richteten. Er war auch damals kein Filmneuling mehr, sondern hatte bereits während seiner ganzen Laufbahn filmisch gearbeitet. Die Filme nach Stoffen von Lernet stellen wesentliche Eckpunkte der österreichischen Filmgeschichte dar: die Widerstandsgeschichte „Das andere Leben“ (1947), die in ein Zeitalter anderer Ehr- und Moralbegriffe zurückreichende Pferdegeschichte „Maresi“ (1948),„An klingenden Ufern“ (1949), „Abenteuer in Wien“ (1952), eine österreichisch-amerikanische Coproduktion mit Anklängen an den „Dritten Mann“ nach Lernets Roman „Ich war Jack Mortimer“, sowie das Drehbuch zu Franz Antels meisterlichem Film „Spionage“ (1955), die Geschichte des Geheimagenten Oberst Redl aus dem Ersten Weltkrieg.

Elisabetta Ciancia (Mailand): 11.00 Uhr
Stimmen der italienischen Literaturkritik zu Lernet-Holenias Romanen und Erzählungen der Nachkriegszeit

Bis Anfang der Achtziger Jahre ist das Prosawerk Lernet-Holenias, trotz einer sehr frühen Übersetzung des Romans „Die Standarte“ schon in der Vorkriegszeit, dem italienischen Leser noch fast völlig unbekannt. Seine Wiederentdeckung – oder besser seine Entdeckung tout court – beginnt 1982 mit der Herausgabe von Baron Bagge durch den anspruchsvollen Verlag Adelphi (Herausgeber u.a. von Joseph Roth und Thomas Bernhard). Seither zählt man schon neun Übersetzungen, die sich durchaus als Longseller erwiesen haben, und zwei weitere sind in Vorbereitung. Der Beitrag versucht, anhand der zum Teil widersprüchlichen Stellungnahme der italienischen Germanistik, der Fachpresse und des Feuilletons, einen Umriss der Rezeption von Autor und Werk in Italien zu skizzieren.

Anmeldung und Information:

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Leitung Auslandsinstitut
Dr. Thomas Eicher
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Fax +49 (0)231 83800 55
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Claudia Steinbach
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