Felix Braun zu Alexander Lernet-Holenia (1947)
Für Alexander Lernet- Holenia zum 50. Geburtstag
Wir haben uns gewöhnt, einen Dichter, der schöne Verse schreibt, einen Lyriker zu nennen, aber wohl vergessen, was dieses griechische Wort bedeutet. Denn das Saitenspiel spricht es aus, ohne das Sappho, ja, sogar Pindar kaum vorgestellt werden kann. Der schreibende Dichter der Zeit ahnt nicht, was einst sein singender Vorfahr gewesen. Hölderlin sang in seinem Turm bei Homburg; Rilke sang, wenn er seine Gedichte vortrug; und auch Stefan George rezitierte sie halb singend.
In Alexander Lernet-Holenia verehren wir den größten lyrischen Dichter, den unser musisches Land seit Georg Trakl zum Gesang aufgerufen. Ich schreibe diese Worte, die ein Versuch sein möchten, ihm für sein erlauchtes Werk zu danken, ohne die Gegenwart seiner Bücher. Aber wenn er nichts geschaffen hätte als Gedichte wie „Die Liebe", „Teiresias", „Die Abreise", das für mich herrlichste Stück seiner „Trophäe", wäre er würdig des Lorbeers. Seine Kunst ist jetzt in die Spätzeit erhoben, der die Hymne, die Ode, die Elegie allein ansteht, und die weiteren Raum für den Hin- und Widergang der Sprache braucht als die der Jugend, die sich leichter bindet, ihn beanspruchen mag. Es scheint ein Gesetz des Dichters zu sein, dak der Hang zu der Verzierung des Reims wie zu allem Blühenden nicht überdauert; daß der Mund, der zu künden hat, der schönen Verflochtenheiten minder bedarf: denn jetzt ist aufgegeben, über die Grenzen, auch die der Natur, hinweg, das Allflutende des Geisthauchs ein- und auszuatmen.
Ein ähnlich Edles, Weitwendiges, Strömendes durchwaltet die Prosa Alexander Lernet-Holenias. Sie hat etwas von der Hofmannsthals, nämlich die Gabe, das Besondere leichthin auszusagen, so daß ihm auch das Nachlässige (nicht in der Sprache, doch in der Haltung) nichts von ihrem angeborenen Adel nimmt, im Gegenteil etwas hinzufügt, das köstlich ist. An Phantasie, Erfindungslust, Kunst des Erzählens überflügelt der Dichter der wundervollen Geschichte vom Tode des Horaz sämtliche Zeitgenossen. Und was wir dem Dramatiker verdanken, werden die nachfühlen, die seine „Alkestis" bewundern.
Der fünfzigste Geburtstag ist der goldene eines Erdenlebens. Die kommenden Jahre bleichen seinen vollen Glanz. Dafür vergönnen sie ein letztes Element, das sich früher nicht hergibt, ehe nicht das Dasein an die Schwelle des Herbstes gelangt ist. Ich wünsche es Alexander Lernet-Holenia, und doch liebe ich, ihn so im Leben zu schauen, wie seine Dichtungen ihn uns zeigen. Denn die Weisheit, die wir voreinst dem Alter zuerkannten, gälte sie noch? Oder wäre sie nicht vielmehr die, mit der das Leben liebt, ob auch bloß begehrt, tastet, sucht, verfehlt, findet, verliert, neu sich sehnt, entsagt und rückfällt?