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Alexander Lernet-Holenia
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Leseprobe - Der Baron Bagge (1936)

Der Baron Bagge - S

Der Baron Bagge
(Auszug)

[...] Die Schwadron, die, weil sie ihren Train und die Küche zurückgelassen hatte, mit Gepäck, Proviant und Futterrationen überladen war, begann auf der Straße gegen Scharoschpatak dahinzutraben und passierte binnen kurzem die Stelle am Fuße der Weinberge, wo der Divisionär, Feldmarschalleutnant von Coulant zu Kolb, mit seinem Stabe hielt. Es leuchtete der Scharlach seiner Sattelgurte und des Futters in seinem offenen Mantel. An seinem Halse hing ein hoher Orden. Der Stab sah gepflegt und rasiert aus, und die Schnallen der Pferderüstungen blitzten.

Hinter der Front, bis Schatoralja-Ujhely, das wir gegen vier Uhr am Nachmittage erreichten, ging der Marsch ohne Zwischenfälle vor sich, wenngleich die Straße von Artillerie und Kriegsgeräten voll war. Nun aber gelangten wir an die endlos von Osten nach Westen sich hinziehenden Linien unserer flüchtig eingegrabenen Infanterie, und obwohl es hier hieß, es sei vom Feinde noch nichts zu sehen, so konnte er dennoch, indem wir weiterdrangen, jeden Augenblick vor uns auftauchen. Wir sandten also eine Vorpatrouille und seitliche Sicherungen aus und übersprangen die Infanteriestellungen. Unten, in den Gräben, erhielt die Mannschaft eben die Abendmenage, die Fahrküchen waren herangekommen, und es roch nach Rauch und Kaffee. Einige spanische Reiter wurden, damit wir passieren könnten, zur Seite gerückt, dann setzten wir unseren Weg fort. Die Leute auf den vorgeschobenen Feldwachen sahen uns schweigend nach, wie wir, im Stil eigentlich längst schon vergangener Zeit gekleidet und bewaffnet, ins Ungewisse ritten, nun blieb auch das zurück, und nur mehr große Krähenschwärme flogen aus dem öden Vorfeld vor den Stellungen kreischend auf. Linker Hand hatten wir noch immer Hügel und bräunliche Weinberge, rechter Hand die verschneite Ebene, auf der die Ziehbrunnen ragten. Ganz zur Rechten, in der Ferne, sahen wir auch wiederum einen kleinen, erloschenen Vulkan.

Zu einem weiteren dieser Vulkane kamen wir gegen fünf Uhr. Er hatte die Gestalt eines stumpfen Kegels, war etwa zweihundert Fuß hoch und sah aus wie ein kleiner Krater auf dem Mond. Ringsum war alles leer. Wir sahen kein Dorf und keine Menschen. Die Straße, die bisher der Bahn gefolgt war, bog nun halb nach rechts. Es begann zu dämmern. Die braunen Radspuren, auf denen wir trabten, verloren sich ins Ungewisse. Nördlich, in Schneewolken, selbst wie Wolken, verschwammen im Düster die Karpaten.

Unsere Fortbewegung verlangsamte sich nun, und zwar ganz von selbst; die Pferde schnauften leise durch die Nasen und bekamen auf einmal so hohe Gänge, als fürchteten sie, mit den Hufen den Boden zu berühren und auf etwas zu treten, das aufspringen und uns anfallen konnte; und überhaupt hätten wir nun halten sollen, statt im Finstern weiter ins Unbekannte vorzudringen. Denn Patrouillen und Nachrichtendetachements haben, im allgemeinen, in der Nacht, weil sie ja da doch nicht mit Erfolg aufklären können, zu halten. Semler aber befahl nichts dergleichen. Er wandte sich auch nicht ein einziges Mal um, wir sahen immerzu bloß seinen und seines Trompeters gebeugten Rücken vor uns, die beiden trabten stetig weiter. Die Vorpatrouille war alsbald kaum mehr zu sehen. Sie glitt, wie ein Trupp berittener Geister, schattenhaft vor uns über den Schnee. Ein leichter Wind kam auf und wehte uns ins Gesicht. Er roch, sonderbarerweise, süßlich, aber nicht nach Schnee, sondern etwa nach ungelüfteten Stuben und nach Holzrauch, und ich bildete mir - wenngleich ich mir darunter eigentlich nichts vorstellen konnte - auf einmal ein, so sei der Geruch des Todes, oder so ähnlich müsse er zumindest sein.

Doch sollte ich die Ursache davon bald vor Augen bekommen. Die Vorpatrouille nämlich, nachdem sie plötzlich einen Moment angehalten, stieß einen Ruf aus und sprengte, mit ergriffenen Karabinern, auf einen einzeln stehenden Baum zu. Unter dem Baum standen drei Männer. Das heißt: es sah von weitem so aus, als ob sie stünden. Als wir aber hinkamen, sahen wir, daß sie hingen.

Sie hingen, nebeneinander, von einem starken waagrechten Ast, indem sie mit den Füßen den Boden zu berühren schienen. In Wirklichkeit aber berührten sie ihn nicht, sondern der Wind schaukelte sie leicht hin und her. Dabei knarrte der Ast ein wenig. Sie mochten bereits seit Tagen tot sein und auch im Tauwetter schon gehangen haben, denn ein widerlicher, süßlicher Geruch, derselbe, den wir bereits vorhin gespürt hatten, ging von ihnen aus. Wahrscheinlich waren es Spione, die man auf dem Rückzug gehenkt hatte. Die Hände waren ihnen auf den Rücken gebunden, die Köpfe hingen schräg, und aus den Gesichtern, die einen idiotischen Ausdruck bekommen hatten, schielten die Augen uns halboffen an. Überhaupt hatten die Gestalten etwas Schwammiges, sozusagen Amorphes bekommen, die Proportionen waren irgendwie verändert, und es sah aus, als habe man die Kleider bloß nachlässig mit Stroh vollgestopft, wie bei Vogelscheuchen. Schuhe oder Stiefel hatten sie keine mehr an; die mochte irgendwer ihnen ausgezogen und mitgenommen haben. Füchse hatten ihnen die Füße angefressen. Jeder hatte ein Stück Papier an die Brust geheftet, auf dem irgend etwas stand, und Hamilton riß ein Zündholz an und beleuchtete die Plakate. Da stand in der Tat, es seien »verräterische Schweine« gewesen. Indessen staute die Schwadron sich um den Baum, und alles sah, im Flackerlichtchen von Hamiltons Zündholz, die Toten an. Unter den breitausladenden Ästen standen die vielen Pferde wie in einer gedeckten Reitschule. Doch jagte, nach einem Moment, Semler die Vorpatrouille mit einer Handbewegung weiter, und auch die Schwadron drängte zurück, rangierte sich, und im Trab ging es wieder hinter dem Rittmeister her.

Es war indessen völlig Nacht geworden, und auch von rechts rückten nun die Hügel, mit Weingärten offenbar bedeckt, an die Straße heran. Es war von Semler völlig unverantwortlich, noch weiterzurücken. Wir konnten, in diesem Gelände, in einen Hinterhalt geraten, der uns alle das Leben gekostet hätte. Ich machte darüber zu Hamilton eine Bemerkung und fragte ihn, ob wir Semler nicht auf das Unverantwortliche seines Tuns aufmerksam machen sollten. Allein Hamilton brummte auf englisch, den Narren könnten wir ja doch nicht aufhalten, und wenn wir Feuer bekämen, werde er ohnedies umkehren müssen. [...]