Alexander Lernet-Holenia

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Rainer Maria Rilke

in einem Brief vom 1. April 1921 an Katharina Kippenberg

Verehrteste, liebe Freundin,
Lernet, in seiner Freude, schickt mir eben den Insel- Brief vom 22. März, ganz von Ihrer eignen Hand -, und gestern, endlich, empfmg ich sein Manuskript, das endgültige. Ich habe, eilig und ungeduldig es an Sie weiterzugeben, den Abend damit verbracht, es zu lesen, und nun bleibt mir nichts zu sagen, nichts, als daß ich glücklich bin, es Ihnen zu schicken. Ein Name, den ich sonst mit großer Vorsicht zurückhalte, drängt sich in meine Feder: hier ist ein Werk! Lesen Sie.

Aber ich möchte zurücknehmen, was ich an Körnern Vorurteils in Ihr Erdreich vorausgeworfen habe. Ich war im Unrecht. Diese neue Fassung unterscheidet sich so wesentlich von jener ersten, die allein bisher in meinem Besitze war, - die Manier, die Arabeske, die sich dort zu schließen schien, ist gesprengt, nun flutet es, lebt, drängt -, und es erweist sich wirklich, daß hier nicht eine literarische Neigung sich ausübte, - sondern die geheime Überlieferung eines ritterlichen Blutes die unzähligen Legenden des Erlebens so trug und mit sich riß, wie es ihrer eigensten Strömung entsprach.