Ein Traum in Rot - Rezension Martin Wichert (1997 Deutsch)
In: OnLinedienst Freiburg

Ein unglaubliches Buch! - Einer der seltsamen phantastischen Romane des vor hundert Jahren geborenen, viel zu wenig bekannten, österreichischen Schriftstellers Alexander Lernet-Holenia (1897-1976), die in der Literatur seiner wie wohl jeder Zeit immer einen Sonderplatz einnehmen werden.
Das Phantastische, Übersinnliche, Unbegreifliche schleicht sich auf so nebensächliche, unauffällige Weise in die Geschichte ein, dass man kaum den Übergang von Realität zu Phantastik wahrzunehmen vermag.
Da entsteht vor unseren Augen ein vielschichtiges Bild der russischen Polit- und Gesellschaftsgeschichte im Übergang von Zarenreich zu Revolution, ein komplexes Geflecht historischer Ereignisse, denen zu folgen ein gehöriges Mass an Aufmerksamkeit erfordert. Doch eigentlich bildet dies alles nur den Hintergrund für die in der damaligen Gegenwart (der Roman erschien erstmals 1939) angesiedelte, beklemmende Geschichte einer unheilvollen Prophezeiung, die sich unabwendbar erfüllt und zu einem wahren Alptraum wird. Die stets präsente, aber erst recht spät in persona auftretende Hauptfigur ist ein wahrer Teufel in Engelsgestalt, nicht, dass er besonders böse wäre, nein, ganz im Gegenteil ist er bemüht, besonders gut zu sein und dennoch wird alles um ihn zu einer einzigen Katastrophe von erschütternder Folgerichtigkeit (oder ist es doch nur die abergläubische Umwelt, die ihm gar keine andere Wahl lässt?!). Eine geradezu paradoxe Entwicklung, ein Charakter, dem der Autor manchmal gar die Züge Lenins (oder des personifizierten Bolschewismus allgemein) verleiht.
Überhaupt wimmelt der Koman von Anspielungen und Parabelhaftem. Auf den ersten Blick ist man versucht, dem Autor seine durch den Blickwinkel des Erzählers eindeutig aristokratisch erscheinenden Sympathibekundungen vorzuwerfen, doch stimmt das überhaupt? Ist es viellecht sogar andersherum? Oder von beiden etwas? Auf jeden Fall ist Lernet-Holenia ein viel zu intelligenter Dichter, um sich nicht allzu einfach, parteiischen Meinungsäusserungen zu enthalten. Gerade die latente Unsicherheit und Mehrdeutigkeit macht ja auch den Reiz dieses literarischen Meisterwerks aus.
Ein Roman also, der es dem Leser wahrlich nicht einfach macht. Sprachlich äusserst kunstvoll, eine gewisse historische-humanistische Bildung voraussetzend, vor allem aber von einer solchen assozitiven, ja philosophischen Tiefe, wie man sie nicht allzu oft findet. Eine düstere, ungemein anregende Lektüre, die man sich gerne auch ein zweites Mal vornimmt: der Neuedition weiterer Werke des Autors im Zsolnay Verlag ("Die Standarte" erschein bereits 1996) darf man mit Spannung entgegensehen.