Lernet-Holenia im Strom der Träume (1989)
György Sebestyén zu Das lyrische Gesamtwerk
Alexander Lernet-Holenia: Das lyrische Gesamtwerk. Hrsg. von Roman Rocek. Wien: Zsolnay 1989.
György Sebestyén schreibt in der Hamburger Tageszeitung 'Die Welt' ("Mit Lernet-Holenia im Strom der Träume", Nr. 236, 10.10.1989, S.6, auszugsweise zitiert):
'Mit 24 Jahren, 1921, veröffentlichte Lernet-Holenia seinen ersten Gedichtband. Pastorale evoziert eine festliche Welt, in der Ritterschaft und Trauer mythische Bedeutung gewinnen. In den Allegorien vereinen sich Elemente der Antike und des Hochmittelalters zu einem ebenso tragischen wie eleganten Welttheater.
Der Band Lieder hoher Minne (1922) zeigt am Beispiel von Übersetzungen nach Gedichten von Ulrich von Liechtenstein, Petrarca, Dante und anderen den 25 jährigen als Meister der Form.
Im Band Kanzonnair (1923) ist die Sprache zerrissener, die Dichtung freier, die Bilderwelt im Zeichen eines barockisierenden Expressionismus bewegter.
In den Gedichten des Bandes Das Geheimnis Sankt Michaels (1927) hat der 30 jährige endlich jenen Zustand der inneren und also auch formalen Reife erreicht, in dem sich die eruptive Kraft der Vision mit der Disziplin der verdichtenden Sprache verbindet.'
'Acht Jahre später, 1935, erschien Die goldene Horde, und damit einige der vollendetsten deutschsprachigen Gedichte dieses Jahrhunderts.'
'Die Gedichte, die er ab 1936 geschrieben hat, erschienen zehn Jahre später im Band Trophae; ebenfalls 1946 gab Gottfried Bermann-Fischers Verlag in Stockholm des Dichters Abrechnung mit dem Dritten Reich, das lange, in Blankversen verfaßte Gedicht Germanien heraus.'
'In seinem letzten Gedichtband 'Das Feuer' veröffentlicht Lernet-Holenia Verse, in denen der 52 jährige seine Weltsicht und sein Lebensgefühl nochmals verdeutlicht.'
'Die Lyrik von Alexander Lernet-Holenia ist - wie die Dichtungen von Ezra Pound oder von Jorge Luis Borges - der Beweis dafür, daß der Dialog der Geister von Empedokles bis heute und morgen, der Strom der Visionen, die schöpferische Arbeit der Sprache, die sich aus sich selbst erneuert, weiterbildet und durchgeistigt, durch das Geschrei des Marktes und der Ideologien nicht unterbrochen werden kann.'